Was ist Stress? Stress und das autonome Nervensystem

Ein vereinfachtes Diagramm des Nervensystems

Was ist Stress?

Stress bezeichnet einen körperlichen und psychischen Zustand, der als Reaktion auf eine als bedrohlich oder überfordernd empfundene Situation entsteht. Solche Situationen können real oder vorgestellt sein – etwa eine wichtige Prüfung, ein Konflikt mit einer anderen Person oder Zeitdruck im Alltag.

Es wird unterscheiden zwischen akutem Stress, der kurzfristig auftritt und schnell wieder abklingt, und chronischem Stress, der über längere Zeit anhält und gesundheitsschädlich sein kann. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Stress nicht unbedingt etwas Negatives ist. Es ist eine natürliche körperliche Reaktion, die unseren Körper auf körperliche oder geistige Herausforderungen vorbereitet.

Kampf oder Flucht?

Der Physiologe Walter Cannon beschrieb Anfang des 20. Jahrhunderts, wie der Körper auf akuten Stress reagiert: mit einer sogenannten Kampf-oder-Flucht-Reaktion (fight-or-flight response). Diese Reaktion wird durch das sympathische Nervensystem ausgelöst, einen Teil des autonomen Nervensystems.

Typische körperliche Reaktionen:

  • Erhöhung der Herzfrequenz

  • schnellere und flachere Atmung

  • Weitstellung der Pupillen

  • Hemmung der Verdauung

  • Freisetzung von Glukose zur Energieversorgung der Muskeln

Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion wurde von unseren Vorfahr*innen weitergegeben und hat sich im Laufe der Evolution entwickelt. Obwohl diese Reaktion bei vielen Tierarten und auch beim Menschen auftritt, kann es individuelle Unterschiede in der Reaktionsfähigkeit und dem Ausmaß der Reaktion auf einzelne Auslöser (Stressoren) geben. Diese individuellen Unterschiede in der Stressreaktion können durch verschiedene Faktoren verursacht werden, darunter den Hormonspiegel und den Gleichgewichtszustand des Nervensystems vor dem Stressor. Sie können auch durch genetische Faktoren und frühkindliche Erfahrungen beeinflusst werden. Die Kampf- oder Fluchtreaktion wird durch das limbische System gesteuert.

Das autonome Nervensystem

Das autonome Nervensystem steuert lebenswichtige Körperfunktionen, die wir nicht bewusst kontrollieren können – z. B. Herzschlag, Verdauung und Atmung. Es besteht aus zwei Hauptkomponenten. Beide Systeme arbeiten im Wechselspiel: Der Sympathikus bereitet auf Aktion vor, der Parasympathikus auf Erholung:

Sympathikus: aktiviert den Körper in Gefahrensituationen. Verantwortlich für Stress, Angst, körperliche Belastung.

Parasympathikus: beruhigt und regeneriert den Körper. Verantwortlich für Ruhe, Entspannung, Schlaf

Das allgemeine Adaptationssyndrom

Die Stressreaktion ist in der Regel nur von kurzer Dauer, das autonome Nervensystem kann jedoch langfristige Stressreaktionen hervorrufen. Das Allgemeine Anpassungssyndrom (GAS) ist ein dreistufiger Prozess, der beschreibt, wie langfristige Stressreaktionen entstehen und welche Auswirkungen sie haben. Dieser Prozess besteht aus drei Phasen:

  1. Alarmreaktion: Sofortige Aktivierung des Körpers aufgrund einer wahrgenommenen Bedrohung (körperlich oder geistig)

  2. Widerstandsphase: Der Körper versucht, ein inneres Gleichgewicht zu erreichen, indem er Hormone (z. B. Cortisol) freisetzt, die den aktivierenden Hormonen entgegenwirken, die während der akuten Phase der Stressreaktion freigesetzt werden. In dieser Phase kann der Vagusnerv auch Herzfrequenz und Blutdruck senken.

  3. Erschöpfungsphase: Bei anhaltendem Stress sind die körperlichen Ressourcen, die die Stressreaktion hervorrufen, erschöpft, was negative Folgen für die Gesundheit haben kann.

Was passiert bei chronischem Stress?

Während Stress kurzfristig leistungssteigernd wirken kann, kann chronischer Stress zu einer dauerhaften Aktivierung des sympathischen Nervensystems führen. Die dadurch ausgelöste Verlängerung der Körperfunktionen kann negative Folgen für die Gesundheit – sowohl körperlich als auch geistig – haben. Zu diesen negativen Auswirkungen gehören:

  • Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

  • Schwächung des Immunsystems

  • Schlafprobleme

  • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen

  • Emotionale Erschöpfung und Burnout

Der Parasympathikus als „Stressbremse“

Der Parasympathikus ist ein Teil des vegetativen Nervensystems und wirkt als Gegenspieler zum Sympathikus. Während der Sympathikus den Körper auf Aktivität vorbereitet (z. B. durch Erhöhung von Herzfrequenz und Blutdruck), sorgt der Parasympathikus für Erholung und Regeneration. Er hilft dabei, den Körper nach einer Stressreaktion wieder in einen Zustand der Ruhe zu versetzen. Eine seiner wichtigsten Funktionen ist die sogenannte „vagale Bremse“, die über den Vagusnerv wirkt und unter anderem den Herzschlag verlangsamt. Auf diese Weise trägt der Parasympathikus dazu bei, die Auswirkungen von Stress zu begrenzen. Wenn das sympathische Nervensystem, das die Stressreaktion auslöst, über längere Zeit aktiv bleibt oder immer wieder aktiviert wird, wird der Parasympathikus weniger aktiv. Diese Abnahme der sogenannten „vagalen Bremse“ ermöglicht es dem Sympathikus, eine stärkere Wirkung zu entfalten.

Während die Aktivierung der Stressreaktion unbewusst erfolgt, kann Ihr parasympathisches Nervensystem durch bewusste Handlungen beeinflusst werden.. Es gibt einfache Techniken, um diesen Teil des Nervensystems gezielt zu fördern:

  • Tiefe Bauchatmung

  • Progressive Muskelentspannung

  • Achtsamkeit und Meditation

  • Bewegung und Naturaufenthalte

Diese Methoden helfen, den Körper zu beruhigen und die Regeneration zu fördern. Wer regelmäßig Aktivitäten in den Alltag integriert, die den Parasympathikus unterstützen, kann helfen, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, die emotionale Regulation zu verbessern und langfristiges Wohlbefinden zu fördern. Mit der Zeit reduzieren diese Praktiken nicht nur die Auswirkungen akuten Stresses, sondern erhöhen auch die Resilienz – also die Fähigkeit, sich von zukünftigen Belastungen schneller zu erholen.

Weitere Lektüre

https://www.psychologie.uni-freiburg.de/abteilungen/psychobio/neuePublikationen/BuchkapitelStressregulation%20und%20Sport%28im%20Druck%29.pdf [PDF herunterladen]

Stress and stress responses: A narrative literature review from physiological mechanisms to intervention approaches - Farshad Ghasemi, David Q. Beversdorf, Keith C. Herman, 2024


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